Wer und was ist Links oder Rechts?

Teil II: Messung von Links und Rechts




Links und Rechts sind zwei der meistgebrauchten politischen Begriffe überhaupt. Dennoch oder womöglich gerade deshalb scheiden sich oft die Geister an der Frage, was Links und Rechts eigentlich ausmacht und wer und was aus welchen Gründen links oder rechts sei. Mit all diesen Fragen – und möglichen Antworten - befasst sich diese Beitragsreihe. In dem zweiten Teil schauen uns dabei an, wie sich konkret messen lässt, ob eine Partei eher links oder rechts ist bzw. wie sehr links oder rechts die größeren Parteien der deutschen Parteienlandschaft im Vergleich zueinander sind.

Wie in dem vorherigen Beitrag dieser Reihe erläutert, lässt sich Links als eine Bezeichnung für politische Forderungen und ideologische Überzeugungen definieren, die sich von der Annahme ableiten, dass Menschen eher gleich als ungleich sind und sein sollten. Umgekehrt bezeichnet Rechts wiederum politische Forderungen und ideologische Überzeugungen, die von der gegenteiligen Annahme ausgehen (siehe Beitrag „Wer und Was ist Links und Rechts – Teil I Bedeutung: von Links und Rechts“).

Mit dieser Definition lässt sich zwar eine Antwort auf die Frage finden, wer oder was als Links bzw. Rechts gelten kann. Wie wir jedoch bereits zu Beginn des vorherigen Beitrags gesehen haben, entzünden sich Kontroversen über die Bedeutung von Links und Rechts oft weniger an der Frage, wer grundsätzlich als links bzw. rechts, sondern vielmehr daran wer oder was im Vergleich zueinander linker bzw. rechter ist.

Die Debatte, ob die FDP linker oder rechter als die CDU ist - und entsprechend links oder rechts von der CDU sitzen sollte - ist dabei nur ein Beispiel von vielen für solcher Kontroversen. Ein weiteres ist die Frage, wo genau bzw. wie rechts die AfD im Vergleich zu den anderen Parteien der deutschen Parteienlandschaft steht.

Die AfD ist in gewisser Hinsicht eine noch (vergleichsweise) junge Partei. Unklarheiten über die Verortung der AfD im Vergleich zu anderen Parteien entstehen dabei sicherlich einerseits hieraus, aber andererseits wohl auch aus dem Umstand, dass die Partei selbst immer wieder in Frage stellt, wie sie von Beobachtern im Vergleich zu anderen Parteien wahrgenommen wird.

Beobachter der AfD sehen in ihr überwiegend eine Partei, die so weit rechts steht, wie kaum eine im Bundestag vertretene vor ihr (Decker 2016; Pfahl-Traughber 2019: 100-101). Politiker der AfD halten dem jedoch entgegen, dass die AfD nicht rechter sei als die CDU vor ein paar Jahrzehnten und sich lediglich die anderen Parteien und Maßstäbe dessen, was als link bzw. rechts gilt so weit nach links verschoben haben, dass eine Partei wie die AfD heutzutage als äußerst rechts wahrgenommen wird, obwohl sie auch nicht rechter ist als es etwa die CDU einmal war (siehe Junge Freiheit 2020; ebd. 2024).

Um in Fällen wie diesen feststellen zu können, wer mit seiner Wahrnehmung näher an der Wahrheit liegt, reicht es dabei nicht aus nur, eine Definition davon zu haben, wer oder was links bzw. rechts ist, sondern brauchen wir darüber hinaus auch ein Verfahren, um feststellen zu können, wer oder was wie links bzw. wie rechts ist.

Um ein solches Verfahren zur Messung von Links und Rechts bestimmen zu können, ist es nötig, sich zuerst mit ein paar grundlegenden Problemen und Herausforderungen bei der Messung zweier solch abstrakter Phänomene näher zu befassen. Genau das werden wir im Folgenden tun.

1. Die Messung von Links und Rechts

1.1. Manifeste vs. latente Phänomene

Eine der größten Herausforderungen in den Sozialwissenschaften besteht darin, dass sich die Sozialwissenschaften – anders als etwa die Naturwissenschaften – meist mit sogenannten latenten Phänomenen befassen. Als latent gilt ein Phänomen als dann, wenn es sich nicht direkt messen lässt. Dem gegenüber stehen sogenannte manifeste Phänomene, die direkt messbar sind. (Gadinger, Jarzebski, Yildiz 2014: 90)

Bei dem Konzept von Links und Rechts handelt es sich dabei um genau ein solches abstraktes, latentes Phänomen. Die einzige Möglichkeit ein latentes Phänomen zu messen, besteht darin, (1) ein oder mehrere manifeste Phänomene zu bestimmen, bei denen man ausreichend Grund hat, davon auszugehen, dass ihr (2.1) Vorhandensein und (2.2) Ausmaß mit dem Vorhandensein und Ausmaß des gesuchten manifesten Phänomens zusammenhängen und anschließend (3) das gesuchte latente Phänomen indirekt über die derart bestimmten korrespondierenden manifesten Phänomene zu messen (Gadinger, Jarzebski, Yildiz 2014: 98 ff.).

Wie präzise die Messung latenter Phänomene gelingt, hängt dementsprechend davon ab, wie eindeutig und überzeugend, sich begründen und feststellen lässt, welche manifesten Phänomene in welchem Ausmaß warum mit dem zu messenden latenten Phänomen zusammenhängen.

Während wir uns in dem ersten Beitrag dieser Reihe vor allem mit dem ersten Schritt, der (1) Definition von Links und Rechts, befasst haben, befassen wir uns nun mit diesem Beitrag vor allem mit den darauffolgenden zweiten und dritten Schritten, der (2) Operationalisierung sowie (3) Messung von Links und Rechts bzw. Links-Rechts-Ausrichtung politischer Akteure.

1.2 Messverfahren

Grundsätzlich sind verschiedenste Operationalisierungs- und Messverfahren für die Links-Rechts-Ausrichtung von Parteien denkbar.

Eines der einfachsten wie banalsten Verfahren kann etwa darin bestehen, einfach einen bestimmten Personenkreis, bei dem wir Grund dazu haben, davon auszugehen, dass sie ein (1) Interesse daran haben sich einen Eindruck, davon zu verschaffen, wie die Links-Rechts-Ausrichtung einzelner Parteien besteht, sowie die (2) Kompetenz sich diesen tatsächlich auch zu verschaffen.

Aus einer Rational-Choice Perspektive hätten wir dabei Grund, anzunehmen, dass zu einem solchen Personenkreis zumindest potenziell jeder Wähler in einer Demokratie gehört bzw. gehören sollte.

Unter idealen Bedingungen, sollte jeder Wähler ein – zumindest indirektes – Interesse daran haben, sich ein zutreffendes Bild von der ideologischen bzw. der Links-Rechts-Ausrichtung der für ihn zur Wahl stehenden Parteien, da ein solches eine Vorrausetzung für das Abgeben einer informierten Wahlentscheidung ist und das Abgeben eines solches wiederum im direkten Interesse des Wählers ist (Downs 2013: 202-205).

Eine Möglichkeit zur Links-Rechts-Verortung bestimmter Parteien wäre es demnach Wahlberechtigte darüber zu befragen, als wie links oder rechts sie welche Parteien verorten würden und das Ergebnis dieser Befragung anschließend in einem Wert für jede Partei zu bündeln.

In der Realität sind die Bedingungen allerdings oft nicht ideal. So wäre gemäß des Rational-Choice-Ansatzes unter Berücksichtigung nicht idealer Bedingung zu erwarten, dass nicht jeder Wähler in der Realität die nötige Kompetenz und Informationen hat, um sich ein zutreffendes Bild von der Linkts-Rechts-Ausrichtung der Parteien zu verschaffen, da der Nutzen eines solchen Bilds letztlich einen zu geringen Nutzen bzw. hohe Kosten mit sich bringt, um eine Beschaffung zu rechtfertigen (ebd. 202).

Gemäß Rational-Choice Ansatz wäre daher auch zu erwarten, dass zwar alle Wähler ein prinzipielles Interesse daran haben sollten, sich ein zutreffendes der Links-Rechts-Verortung der zur Wahl stehenden Parteien zu verschaffen, dass jedoch nur wenige Experten – die nicht nur aus politischen, sondern auch aus beruflich Gründen ein Interesse an einem solchen Bild haben – sich dieses tatsächlich auch verschaffen (können) (ebd. 249).

Eine weitere – und bessere – Möglichkeit zur Links-Rechts-Verortung von Parteien, wäre es demnach, exakt wie bei der Wählerbefragung vorzugehen aber anstelle von zufälligen Wahlberechtigten ausgewählte Experten zu befragen, wobei als Experten Personen in Frage kämen, die sich beruflich mit Parteien und deren ideologischen Ausrichtung beschäftigten, wie etwa Politologen aber auch Journalisten (ebd.; siehe Mair 1984: 74-75).

Eine weitere Möglichkeit der Links-Rechts-Verortung von Parteien neben Wählern- und Expertenbefragung, wäre zudem, die Verortung einer Partei nicht indirekt durch andere zu erfahren bzw. zu erfragen, sondern die Parteien anhand ihrer inhaltliche-programmatischen Aussagen und Forderungen selbst zu verorten (Budge, Bara 2001: 5-7). Als Grundlage für eine solche Auswertung und Verortung der inhaltlich-programmatischen Aussagen bieten sich dabei die Grundsatz- und Wahlprogramme der Parteien, die von diesen selbst regelmäßig veröffentlicht und mit dem Sinn und Zweck verfasst werden, Innen- wie Außenstehenden einen Eindruck von der ideologischen Ausrichtung der jeweiligen Partei zu geben.

Auswertungen der Grundsatz/Wahlprogramme und Verortung der Parteien mittels dieser sind in der Umsetzung schwieriger und aufwändiger als Erfragung der Verortung der Parteien durch andere. Sie haben dafür aber auch den Vorteil, dass wir so nicht nur ein Ergebnis erhalten, sondern darüber hinaus auch (besser) nachvollziehen können, wie wir zu diesem gelangt sind.

Im Folgenden werden wir uns dabei alle diese drei Messverfahren und dabei untersuchen, wie gemäß ihnen die im Bundestag vertretenen Parteien zu verorten sind und welche Übereinstimmungen und Unterschiede sich dabei ergeben.

1.2.1 Wählerbefragungen

In den meisten (wohlhabenden) demokratischen Ländern werden praktischerweise gerade vor nach Wahlen aber auch dazwischen seit Mitte des 20. Jahrhunderts – in vereinzelten Fällen bereits im 19. Jahrhundert – in den meisten Fällen jedoch erst circa ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert regelmäßig durchgeführt (Tankard 1972: 361). Meist ist dabei vor allem von Interesse, welche Partei von den Wählern am meisten unterstützt wird sowie welche Wähler aus wiederum welchen Gründen welche Partei unterstützen. In manchen Wählerbefragungen wie den German Longitudinal Election Studies werden Wähler darüber hinaus aber auch dazu befragt, wo sie sich selbst und sowie die wichtigen größeren Parteien auf einem Links-Rechts-Spektrum verorten würden (GLES 2023).

Für die nach der Bundestagwahl 2021 durchgeführte Befragungsrunde des German Longtidudinal Election Studies ergibt sich dabei hinsichtlich der Links-Rechts-Verortung der im Bundestag vertretenen Parteien, durch die Befragten folgendes Bild:

In der linken Hälfte des politischen Spektrums gilt die Linke aus Wählersicht als die mit Abstand linkeste Partei. Danach folgen die Grünen, dichtgefolgt von der SPD. In der rechten Hälfte des politischen Spektrums folgt dann die FPD, dichtgefolgt von der CDU, wiederum gefolgt von der CSU. Die AfD gilt demnach aus Wählersicht als mit Abstand rechteste Partei. (siehe Visualisierung 1)

Visualisierung 1: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Wählerbefragung

Ein entscheidender Nachteil bei einer Messung der Links-Rechts-Orientierung von Parteien mittels Wählerbefragungen jedoch, dass hierbei keinesfalls garantiert ist, dass die Befragten ein einheitliches, geschweige denn plausibles Konzept von Links und Rechts haben (siehe Abschnitt 2.2). Ohne Garantie einer einheitlichen und plausiblen Definition gibt es aber auch keine Garantie einer genauen Messung.

1.2.2 Expertenbefragung

Expertenbefragung werden dabei im Vergleich zu Wählerbefragungen noch nicht ganz so lange – teils seit Ende des 20. Jahrhunderts, teils erst Anfang des 21. Jahrhunderts – einigermaßen regelmäßig bzw. zunehmend häufig durchgeführt (Budge 2000: 103). Für in der Politikwissenschaft häufig verwendete Expertenbefragungen wie dem Global Party Survey oder dem Chapell Hill Expert Survey werden dabei eine kleine zweistellige Anzahl – meist um die zwanzig – Politologen aber auch Journalisten ausführlich dazu befragt, wo sie Parteien auf einem Links-Rechts-Spektrum und sowie hinsichtlich einer Vielzahl anderer Themen verorten würden (Norris 2020; Seth et al. 2022).

Für die letzte Befragungsrunde des Chapell Hill Expert Surveys aus dem Jahr 2019 ergibt sich dabei folgendes Bild: Die Linke gilt auch den Experten als mit Abstand linkeste Partei. Es folgen erneut die Grünen, erneut gefolgt von der SPD. Anders als bei den Wählern, gilt den Experten dabei jedoch die CDU und nicht die FDP, als mittigste rechte Partei. Auf die CDU folgt dann die FDP und auf diese die CSU. Die AfD gilt wiederum auch den Experten als mit Abstand rechteste Partei. (Siehe Visualisierung 2)

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Visualisierung 2: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Expertenbefragung, eindimensional
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Visualisierung 3: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Expertenbefragung, eindimensional

Ein weiterer großer Vorteil von Experten- gegenüber Wählerbefragungen besteht dabei darin, dass bei ihnen nicht nur danach gefragt wird, wo sie die Parteien auf Links-Rechts-Spektrum bei politischen Themen insgesamt, sondern auch jeweils getrennt bei sozio-ökonomischen Themen und sozio-kulturellen Themen verorten würden. Kombiniert man diese beiden Dimensionen zu einem, dann nicht mehr ein- sondern zweidimensional und dementsprechend nuancierteren Lagebild, stellt sich dieses wie folgt dar:

In der linken Hälfte der sozio-ökonomischen Achse des politischen Spektrums ist demnach nach wie vor die Linke, die mit Abstand linkeste Partei. Die SPD und Grünen liegen nahezu gleichauf, wobei die SPD aus Sicht der Experten in sozio-ökonomischen Themen marginal linker ist als die Grünen.

In der rechten Hälfte des sozio-ökonomisch politischen Spektrums ist demnach wieder die CDU die mittigste rechte Partei, gefolgt von der der CSU. Im Gegensatz zur Gesamtbetrachtung gilt den Experten jedoch speziell bei sozio-ökonomischen Themen die FDP als rechteste Partei, mit der AfD als zweitrechteste Partei.

In der linken Hälfte der sozio-kulturellen Achse des politischen Spektrums sind demnach wiederum nicht die Linke, sondern die Grünen die linkeste Partei. Auf diese folgt die Linke, auf diese die SPD und auf diese wiederum die FDP, die sich nun bei sozio-kulturellen Themen nicht mehr in der rechten, sondern linken Hälfte des politischen Spektrums befindet. In der rechten Hälfte des sozio-kulturellen politischen Spektrums ist einmal mehr die CDU die mittigste rechte Partei, erneut gefolgt von der CSU mit der AfD erneut als rechtester Partei. (siehe Visualisierung 3)

Die zweidimensionale Betrachtung der Links- Rechtsorientierung der Parteien ermöglicht es uns dabei wesentlich besser als die eindimensionale Betrachtungsweise zu überprüfen, ob sich etwa einige unserer Annahmen über das Wesen von Links und Rechts aus dem ersten Beitrag durch eine Messung der Links- Rechtsorientierung von Parteien bestätigen lassen oder nicht.

So hatten wir im ersten Teil die Annahme formuliert, dass sich in der ideologischen Strömung des Liberalismus Überzeugungen und Forderungen bündeln, von denen manche in sozio-ökonomischer Hinsicht rechts, andere wiederum in sozio-kultureller Hinsicht links zu verorten sind (siehe Wer und was ist Links oder Recht – Teil I: Bedeutung von Links und Rechts: Abschnitt 3.1).

Aus dieser Annahme hatten wir wiederum die Erwartung abgeleitet, dass eine Partei wie die FDP, die sich in der Tradition des Liberalismus verortet, in sozio-ökonomischen Fragen rechts ausgerichtet und damit Parteien wie der CDU und CSU, die sich in einer konservativen Tradition verorten, nähersteht, in sozio-kulturellen Fragen jedoch eher links ausgerichtet ist und darin Parteien wie der SPD und den Grünen, die sich eher in einer sozialistischen-sozialdemokratischen bzw. ökologischen Tradition verorten, näher stehen (siehe Beitrag Wer oder Was ist Links oder Rechts – Teil I: Bedeutung von Links und Rechts: Abschnitt 3.2).

Unsere Betrachtung des zweidimensionalen Lagebildes unserer Expertenbefragung bestätigt, dabei, dass diese Annahme in der Tat zutrifft bzw. zumindest von der Mehrzahl der befragten Experten geteilt wird.

1.2.3 Auswertungen von Parteiprogrammen

Eine Verortung der Parteien auf Grundlage ihrer Wahlprogramme ist dabei wie gesagt schwieriger und aufwändiger als mittels Experten- oder Wählerbefragungen. Schwierig ist das ganze vor allem deshalb, weil wir dafür erst ein Verfahren entwickeln/festlegen müssen, wie wir aus dem Text bzw. den Textausschnitten der Programme einen Zahlwert vergleichbar zu unserem Wert auf der abgefragten Links-Rechts-Skala bei den Experten- oder Wählerbefragungen.

Sehr erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht wird, eine solche Zählung durch Forschungsprojekte wie dem Manifesto Projects welches seit 1979 die Aussagen und Forderungen in Wahlprogrammen von Parteien weltweit katalogisiert und kategorisiert (Lehmann et al. 2023a).

Hierfür werden die Wahlprogramme der Parteien mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Bei diesem Verfahren für die Auswertung von Textdaten werden Texte zuerst in (1) möglichst kleine bzw. viele Textabschnitte unterteilt. Danach werden diese Abschnitte (2) entsprechend ihrer inhaltlichen Aussage einer Kategorie bzw. einem Code zugeordnet, sodass am Ende jeder Textabschnitt nicht mehr und nicht weniger als eine inhaltliche Aussage umfasst und wiederum jede inhaltliche Aussage mit einheitlichem bzw. ähnlichem Inhalt ein und derselben Kategorie bzw. ein und demselben Code zugeordnet ist. (siehe Mayring/Fenzl 2019)

Von der Seltenheit oder Häufigkeit bestimmter Codes können dann nach der Codierung – so die Annahme – Rückschlüsse darauf gezogen werden, welche Annahme und Überzeugungen die Einstellung und Ideologie des Verfassers oder der Verfasser überwiegen und dominieren.

Das Manifesto Project unterscheidet zwischen über 130 Codes, denen Abschnitten aus den Wahlprogrammen zugeordnet werden können, darunter Codes für bestimmte politische Forderungen, aber auch Nennungen bestimmter sozialer und politischer Akteure und Gruppen (siehe Lehmann et al 2023b; siehe Abschnitt 3.3.3).

Um hiermit messen zu können, wie links oder rechts eine Partei gemäß ihrem Wahlprogramm ausgerichtet ist, muss dann eine Einstufung getroffen werden, bei welche Codes es sich um linke bzw. rechte politische Forderungen handelt. Berechnet man anschließend jeweils den Anteil von als rechts bzw. links eingestufter Codings an allen vergebenen Codings und berechnet die Differenz zwischen dem Anteil rechter Codings und dem Anteil linker Codings, erhält man einen Wert, der positiv ist, wenn der Anteil rechter Forderungen gegenüber dem Anteil linker Forderungen überwiegt und negativ, wenn der Anteil linker Forderungen gegenüber rechten überwiegt (Budge/Klingemann 2001: 22).

Die Betreiber des Manifesto Projects veröffentlichen dabei zusammen mit den Codes auch einen derart bereits berechneten Wert, die sogenannte Right-Left-Scale (Lehmann 2023b: 30). Die der Berechnung der Right-Left-Scale vorausgehende bzw. zugrundeliegende Einstufung, welche Codings bzw. welche Forderungen links und welche rechts sind, basiert jedoch vor allem darauf, welche politischen Forderungen häufiger von linken bzw. rechten Parteien in Westeuropa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten wurden (Budge, Laver 1992). Dabei wird nicht unterschieden, ob sich diese Forderungen auch wirklich aus (1) linken bzw. rechten ideologischen Überzeugungen dieser Parteien ableiten (lassen) oder von diesen Parteien lediglich aufgrund (2.1) strukturellen Gegebenheiten und strategischen Abwägungen oder aber (2.2) anderer, nicht unbedingt als links oder rechts zu verortenden ideologischen Überzeugungen, vertreten werden (ebd.). Bei der der Right-Left-Scale des Manifesto Projects zugrundeliegenden Definition von Links und Rechts handelt es sich dementsprechend um eine eher weite Definition, die von der im ersten Beitrag vorgestellten und hier verwendeten engeren Definition dessen, was links im Kern ausmacht, abweicht (siehe Beitrag Wer oder Was ist Links oder Recht? – Teil I: Bedeutung von Links und Recht: Abschnitt 4.1).

Für die Messung der Links-Rechts-Ausrichtung mittels der Daten des Manifesto Projects in diesem Beitrag verwende ich daher in diesem Beitrag einen eigenen Links-Recht-Index, basierend auf den Anteilen sechs linker bzw. rechter Forderungen in sozio-ökonomischer und vier linker bzw. rechter Forderungen in sozio-kultureller Hinsicht an sämtlichen Forderungen und Aussagen in den Wahlprogrammen (siehe Schaubild 1).

Schaubild 1: Liste der linken und rechten Forderungen in sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht für die Auswertung der Wahlprogramme

Visualisierung 4: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Auswertung der Wahlprogramme (2021), eindimensional

Berechnet man diesen Links-Rechts-Index für die Wahlprogrammen sämtlicher im Bundestag vertretenen Parteien vor der Bundestagswahl 2017, ergibt sich dabei folgendes Bild: Die Linke gilt auch gemäß diesem Verfahren als mit Abstand linkeste Partei, gefolgt von den GRÜNEN und wiederum gefolgt von der SPD. Anders als bei Wähler- und Expertenbefragungen können mit diesen Verfahren dabei die Positionen der CDU und CSU nicht getrennt, sondern nur zusammen bewertet werden, da CDU und CSU für die Bundestagswahlen nur ein gemeinsames Wahlprogramm herausgeben. Gemäß der Auswertung vom diesem handelt es sich bei den Unionsparteien um die mittigste rechte Partei(-enunion) dichtgefolgt von der FPD. Die AfD gilt wiederum auch gemäß diesem Verfahren als mit Abstand rechteste Partei (siehe Visualisierung 4).

2. Gütekriterien

Ob und wie gut die drei hier vorgestellten Messverfahren über die bereits angesprochenen Vor- und Nachteile hinaus für die Messung von Links und Rechts tatsächlich geeignet sind, lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht anhand der drei wissenschaftlichen Gütekriterien (1) Objektivität, (2) Reliabilität und (3) Validität beurteilen.

2.1 Objektivität

Objektivität ist bei einem Messverfahren etwa dann gegeben, wenn die Messergebnisse unabhängig von der Person sind, die die Messung durchführt. Es gibt dabei zwei Arten von Objektivität (1) Erhebungsobjektivität und (2) Auswertungsobjektivität. Erhebungsobjektivität liegt vor, wenn das Ergebnis der Erhebung der Daten unabhängig von der die Daten erhebenden Person ist. Auswertungsobjektivität liegt wiederum dann vor, wenn das Ergebnis der Auswertung bereits erhobener Daten unabhängig von der auswertenden Person ist. (Behnke, Baur, Behnke 2010: 125-126)

Bei Messverfahren bei denen Daten mittels Befragungen erhoben werden, wie Wähler- und Expertenbefragungen, ist Erhebungsobjektivität oft nur annäherungsweise gegeben. Dies liegt vor allem an dem sogenannten Effekt der sozialen Erwünschtheit, der darin besteht, dass Menschen in Befragungen eine Tendenz aufweisen, nicht das zu sagen, was sie eigentlich sagen möchten, sondern das, wovon sie glauben, dass der Interviewer sich wünscht, dass sie es sagen (siehe Esser 1997).

Bei der Messung mittels Auswertungen von Wahlprogrammen ist Erhebungsobjektivität zwar kein Problem, da die hier ausgewerteten Daten – die Wahlprogramme – nicht erhoben werden müssen, sondern bereits von den Parteien selbst veröffentlicht sind und werden, dafür aber die Auswertungsobjektivität. Das liegt wiederum an der banalen Tatsache, dass natürliche Sprache inhaltlich schlicht nicht so exakt und präzise ist wie etwa mathematischen Formeln. Auswertungen von Parteiprogrammen, erlauben daher auch keine maschinelle Präzision, sondern verlangen ein Mindestmaß menschlicher Intuition. Dies fängt etwa schon bei der Frage an, wo genau die Grenze zu ziehen ist, mit der ein Textabschnitt endet und ein anderer beginnt und endet mit der Frage, welchem Code ein Textabschnitt zuzuordnen ist.

Es gibt dabei verschiedene Möglichkeiten, wie man Erhebungsobjektivität bei Befragungen und Auswertungsobjektivität bei der Auswertung von Wahlprogrammen zwar nicht völlig erreichen, sich ihnen aber zumindest annähern kann: Eine besteht in der intensiven Schulung von Interviewern und Codierern im Vorfeld der Datenerhebung bzw. -auswertung, eine weitere darin, dass etwa beim Manifesto Project die Wahlprogramme von mehreren Personen zuerst unabhängig voneinander codiert und deren Codes als nächstes miteinander verglichen werden, um bei Übereinstimmung bestätigt bzw. bei Abweichung überarbeitet zu werden (Mikhaylov et al. 2012).

2.2 Reliabilität

Reliabilität liegt dann vor, wenn sich feststellen lässt, dass die verwendete Messmethode exakt misst (Behnke, Bauer, Behnke 2010: 126; Rammstedt 2010 242-243). Die Exaktheit einer Messmethode lässt sich dabei mit Verfahren wie Paralleltests oder Testhalbierungen überprüfen.

Dabei können wir vergleichen, ob die Ergebnisse in nominaler Hinsicht – Verortung der Parteien als links/rechts (= Verortung in der linken/rechten Hälfte) – ordinaler Hinsicht - die Reihenfolge der Parteien von links nach rechts - und metrischer Hinsicht – die genauen Werte der Parteien auf der jeweiligen Links-Rechts-Skala bei beiden Links-Rechts-Indizes übereinstimmen bzw. abweichen.

2.2.1 Paralleltest

Bei Paralleltest werden Messungen mittels zweier unterschiedlicher, aber ähnlicher Messmethoden durchgeführt. Bei hoher Reliabilität sollten sich die Ergebnisse der beiden Messmethoden ähneln (Behnke, Bauer, Behnke 2010: 127).

Ein Verfahren für die Durchführung von Paralleltest in unserem Fall könnte etwa darin bestehen, bei den zwei unserer drei Verfahren, bei denen dies möglich ist - der Expertenbefragung sowie den gebündelten Forderungen der Wahlprogramme - deren Messungen der Links-Ausrichtung unserer Parteien erst in sozio-ökonomischen und anschließend sozio-kultureller Dimension zu betrachten bzw. miteinander zu vergleichen.

Eine Übereinstimmung in metrischer Hinsicht würden wir dabei nur in den wenigstens Fällen erwarten, geschweige denn beobachten, da in der Praxis immer auch Messfehler – zufallsbedingt Abweichungen – unsere Messergebnisse verzerren und wir Abweichungen daher nie ganz vermeiden und nur vermindern können.

Neben diesen allgemeinen technischen Grünen gibt es in unserem konkreten Fall auch speziell inhaltliche Gründe, weshalb wir zumindest keine (vollständige) metrische, ordinale und nominale Übereinstimmung der Verortung/Messung in sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht erwarten würden.

Wie im ersten Beitrag beschrieben handelt es sich bei der Links-Rechts-Ausrichtung um ein Konzept, dass die ideologische Ausrichtung politischer Akteure nur sehr vereinfachend und damit eben auch mit allen analytischen Vor- und Nachteilen einer solchen Vereinfachung wiedergibt.

Wie wir gesehen haben, lässt sich dabei nicht nur feststellen, dass es nicht nur einige ideologische Strömungen wie des Liberalismus gibt, die sich in einer Dimension der Links-Rechts-Ausrichtung in einer anderen Hälfte verorten lassen als in der anderen. Darüber hinaus gibt es auch andere ideologischen Strömungen bzw. deren Subströmungen, die sich zwar in beiden Dimensionen als tendenziell links bzw. rechts verorten lassen, dabei aber dennoch – meist nur in einer der beiden Dimensionen – eben nur tendenziell.

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Visualisierung 5: Links-Rechts-Verortung in sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht gemäß Auswertungen der Expertenbefragung
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Visualisierung 6: Links-Rechts-Verortung in sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht gemäß Auswertungen der Wahlprogramme

Wir können dementsprechend erwarten, dass mit der Zunahme des Skalenniveaus unserer Betrachtung die Übereinstimmung der Messergebnisse unserer Messverfahren in sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht deren Übereinstimmung abnimmt, also am höchsten in nominaler Hinsicht geringer werdend in ordinaler Hinsicht und am geringsten in metrischer Hinsicht ist/sein wird.

Bei der Links-Rechts-Verortung mittels Expertenbefragungen ergibt sich dabei eine Übereinstimmung in nominaler Hinsicht. Alle Parteien die von den Experten in sozio-ökonomischer Hinsicht als links bzw. rechts verortet werden, werden dies – mit der erwarteten Ausnahme der FDP – auch in sozio-kultureller Hinsicht. In ordinaler Hinsicht ergibt sich dabei eine geringere, wenn auch noch überwiegende Übereinstimmung. Neben der Rangfolge FPD weicht hier auch die Rangfolge der Grünen in sozio-ökonomischer Hinsicht von der in sozio-kultureller Hinsicht ab. In metrischer Hinsicht gibt es darüber hinaus jedoch auch neben FDP und Grünen auch stärkere Abweichungen bei der Verortung der Linken, die in sozio-ökonomischer Hinsicht als deutlich linker eingestuft werden als in sozio-kultureller Hinsicht.

Bei der Links-Rechts-Verortung mittels der Wahlprogramme, ergibt sich dabei eine geringe aber immer noch weitgehende Übereinstimmung in nominaler Hinsicht. Neben der FDP gibt es hier mit CDU und CSU noch einen weiteren politischen Akteur, der gemäß diesem Verfahren in sozio-ökonomischer Hinsicht in einer anderen Hälfte zu verorten ist als in sozio-kultureller. Dennoch ergibt sich eine hohe Übereinstimmung in ordinaler Hinsicht. Mit Ausnahme der FDP weicht die Rangfolge keiner weiteren Partei in sozio-ökonomischer Hinsicht von der in sozio-kultureller Hinsicht ab.

Ein Vergleich der Werte in metrischer Hinsicht ist dabei bei diesem Verfahren anders nur bedingt sinnvoll ist. Aufgrund des Umstands, dass sich der Wert in sozio-ökonomischer Hinsicht aus prozentualen Anteilen von jeweils acht linken bzw. rechten Forderungen zusammensetzt, für den Wert in sozio-kultureller Hinsicht jedoch nur jeweils vier linken bzw. rechten Forderungen berücksichtigt wurden, würden wir alleine aufgrund der geringen Anzahl an berücksichtigten Forderungen geringere Werte für die Verortung in sozio-kultureller Hinsicht erwarten.

Die Ergebnisse und deren überwiegenden Übereinstimmung sprechend dabei für eine gewisse Reliabilität einer Messung der Links-Rechts-Verortung mittels Expertenbefragung und der Auswertung der Wahlprogramme.

2.2.2 Testhalbierung

Bei einer Testhalbierung – die sich nur bei Messmethoden durchführen lässt, die aus mehreren gebündelten Einzelmessungen bestehen, was in unserem Fall nur bei der Messung mittels Auswertung der Wahlprogramme der Fall ist – werden wiederum die verschiedenen Einzelmessungen, aus denen sich die Messung zusammensetzt in mehreren Durchgängen in zwei gleich große Gruppen gebündelt, deren genaue Zusammensetzung sich bei jedem Durchgang unterscheidet (Behnke, Baur, Behnke 2010: 128). Bei hoher Reliabilität sollten sich auch hier die Ergebnisse der beiden Gruppen ähneln. In unserem Fall würde eine Testhalbierung etwa darin bestehen, bei der Auswertung von Wahlprogrammen zu überprüfen, ob die gemessene Häufigkeit bzw. Seltenheit linker oder rechter Forderungen mit der gemessenen Häufigkeit bzw. Seltenheit anderer linken oder rechter Forderung zusammenhängt.

Von einem starken Zusammenhang kann dann auf eine hohe Reliabilität geschlossen werden. Die Formel für die Berechnung von Cronbachs α für die Indikatoren des Manifesto Projects. Die Formel für die Berechnung von Cronbachs α lautet dabei:

$$ \alpha = \frac{n\bar{r}}{1+\bar{r}(n-1)} $$

wobei \(n\) für die Anzahl an Items und \(\bar{r}\) für den Durchschnitt der Korrelation jedes einzelnen dieser Items mit den gruppierten restlichen Items steht. Der Wert von Cronbachs α für die gebündelten Forderungen der Wahlproramme beträgt dabei: Auch das Ergebnis der Testhalbierung spricht dementsprechend für die Reliabilität der Links-Rechts-Verortung mittels der hier verwendeten gebündelten Forderungen der Wahlprogramme.

Berechnet man Cronbachs α für die linken und rechten Forderungen die Wahlprogramme für jede Bundestagswahl von 1990 bis 2021, erhalt man einen Wert von 0.7611 für sämtliche linke und rechte Forderungen, einen Wert von 0.6786931 nur für die linken und rechten sozio-ökonomischen Forderungen und einen Wert von 0.7286 nur für die linken und rechten soziokulturellen Forderungen. Meist werden gelten Werte von über 0.7 als befriedigender und Werte von über 0.8 guter Beleg für eine Variabilität (Rammstedt 2011: 249).

Das Ergebnis der Testhalbierung spricht dementsprechend zumindest überwiegend für eine befriedigende Reliabilität der Messung der Links-Rechts-Verortung der Parteien mittels der gebündelten Forderungen der Wahlprogramme.

2.3 Validität

Validität ist dann gegeben, wenn sich begründen lässt, dass das, was wir messen, auch tatsächlich das ist, was wir messen wollen (Behnke, Baur, Behnke 2010: 129; Rammstedt 2010: 250). Das klingt banal und ist es vielleicht auch, kann aber dennoch übersehen und dabei zu ebenso banalen wie fatalen Fehlern führen.

Ein fiktives Beispiel für ein Messverfahren das objektiv und reliabel, aber nicht valide ist, wäre das Messen der aktuellen Uhrzeit mittels einer Uhr, die eine Stunde vorgeht. Egal wie wir die Daten erheben, ob wir selbst einen Blick auf die Uhr werfen oder jemanden anderen bitten es für uns zu tun, wir werden immer bei einer solchen Uhr immer die gleiche Uhrzeit messen. Das Verfahren ist also objektiv. Da die Uhr außerdem verstellt ist aber ansonsten zuverlässig funktioniert, wird eine Messung der Uhrzeit zwar immer falsch sein, aber immer exakt gleich falsch und damit zwar falsch, aber dennoch exakt. Das Verfahren ist also auch reliabel. Überprüfen wir jedoch nicht, ob das, was wir messen – die Uhrzeit von in einer Stunde – auch das ist, was wir messen wollen – die aktuelle Uhrzeit, überprüfen also nicht, ob unser Verfahren valide ist, werden wir dennoch nie das messen, was wir eigentlich messen wollen und das womöglich, ohne dass wir uns dessen jemals bewusst werden. (Behnke, Baur, Behnke 2010: 129.)

Es gibt dabei auch hier verschiedene Arten von Validität darunter: (1) Prima Facie Validität, (2) Übereinstimmungsvalidität und (3) Vorhersagevalidität.

2.2.1 Prima Facie

Prima Facie Validität – mitunter auch „Inhaltsvalidität“ (Rammstedt 2010: 250) genannt – liegt vor, wenn wir eine überzeugende und widerspruchsfreie Begründung dafür vorlegen können, dass unsere Messverfahren valide sind (Behnke, Baur, Behnke 2010: 129; Rammstedt 2010: 250-251). Die größten Probleme hinsichtlich Prima Facie Validität haben wir in unserem Fall dabei Wähler- gefolgt von Expertenbefragungen, denn strenggenommen messen wir bei beiden Verfahren nicht, wie links und rechts Parteien sind, sondern wie links und rechts gemäß sie von den Befragten Wählern und Experten wahrgenommen werden.

Dieses Problem liegt dabei jedoch in der Natur latenter Phänomene und ist daher – wenn wir die Messung latenter Phänomene nicht völlig aufgeben wollen – unvermeidlich und somit verzeihlich, solange wir zumindest gut begründen können, dass die wahrgenommene Links-Rechts-Position von Parteien seitens der Befragten mit der realen Links-Rechts-Position der Parteien, zwar nicht identisch ist, aber doch zumindest im mit ihr zusammenhängt bzw. korreliert und daher zumindest im Ergebnis (weitestgehend) übereinstimmt.

Wie wir bereits gesehen haben, lässt sich eine solche Übereinstimmung dabei besser bei Expertenbefragungen und Auswertungen von Wahlprogrammen, schlechter jedoch bei Wählerbefragungen begründen (siehe Abschnitt 2.2.3).

Letztlich hängt die Bewertung der Prima Facie Validität bei Experten- und Wählerbefragungen wohl oder übel aber vor allem davon ab, wie sehr wir – aus welchen Gründen auch immer – bereits sind Experten bzw. Wähler zu vertrauen oder misstrauen (siehe Abschnitt 3). So oder so bezieht sich Prima Facie Validität lediglich auf eine theoretische Begründung. Übereinstimmungs- und Vorhersagevalidität hingegen weisen immerhin auf eine zumindest annäherungsweise empirische Überprüfung von Validität hin.

2.3.2 Übereinstimmungsvalidität

Übereinstimmungsvalidität liegt vor, wenn sich empirisch messen lässt, dass die Ergebnisse eines Messverfahrens mit den Ergebnissen anderer Messverfahren – bei denen wir bereits davon ausgehen (können/müssen), dass ihre Objektivität, Reliabilität und Validität vorliegt ist – übereinstimmen (Behnke, Baur, Behnke 2010: 130).

Eine Voraussetzung dafür, um ein Messinstrument auf Übereinstimmungsvalidität überprüfen zu können, ist, daher strenggenommen, dass wir neben dem Messinstrument, dessen Validität wir überprüfen wollen, bereits ein weiteres Messinstrument haben, dessen Validität bereits gesichert ist.

Ist dies der Fall, stellt sich jedoch die Frage, wozu wir überhaupt ein zweites Instrument brauchen, wenn wir doch unser Phänomen mit dem ersten Instrument bereits valide messen können. Wenn wir zudem – wie in unserem Fall – noch gar kein gesichert valides Messinstrument – von Prima Facie Validität einmal abgesehen – haben, weil gerade erst dabei sind unsere möglichen Verfahren auf ihre Validität zu überprüfen, können wir diese strenggenommen auch nicht mit einem anderen gesichert validen Messinstrument vergleichen und auf ihre Übereinstimmung überprüfen.

Dennoch gibt uns ein Vergleich unserer möglichen Messverfahren zumindest einen Aufschluss über deren Validität. Denn kommen unsere verschiedenen Verfahren zu dem gleichen Ergebnis, muss das dies zwar nicht darauf zurückzuführen sein, dass diese tatsächlich valide das Gleiche messen; es könnte auch Zufall sein. Eine Übereinstimmung durch Zufall wäre jedoch sehr unwahrscheinlich.

Entsprechend können wir von einer Übereinstimmung der Ergebnisse, auch wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit so doch zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Validität der Verfahren, schließen.

Bei einem Vergleich der Verortungen mittels verschiedener Verfahren muss dabei jedoch beachtet werden, dass gerade aufgrund des zeitlichen Abstandes zwischen der hier verwendeten Expertenbefragung (2019) und der Wählerbefragung (2021) bzw. den hier verwendeten Wahlprogrammen bzw. deren Auswertung (2021) sich Unterschiede in den Messungen auch durch Veränderungen in der ideologischen Ausrichtung der Parteien in diesem Zeitraum erklären lassen. Geht man jedoch davon aus, dass solche Änderungen sich nur selten und allmählich ereignen, sollten sich hierdurch verursache Unterschiede zwischen den Messverfahren zumindest in Grenzen halten.

Visualisierung 7: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Expertenbefragung und gemäß Wählerbefragung

Vergleichen wir die Links-Rechts-Verortung der Parteien mittels Expertenbefragungen und mit der mittels Wählerbefragungen ergibt sich dabei eine vollkommene Übereinstimmung in nominaler Hinsicht, sowie – mit Ausnahme der Rangfolge der FDP eine – Übereinstimmung in ordinaler sowie sogar eine – mit Ausnahme der FDP und CDU – hohe Übereinstimmung in metrischer Hinsicht

Vergleichen wir anschließend die Links-Rechts-Verortung der Parteien mittels Expertenbefragungen mit den gebündelten Forderungen der Wahlprogramme, ergibt sich erneut eine vollkommene Übereinstimmung in nominaler sowie ordinaler Hinsicht. Ein Vergleich in metrischer Hinsicht ist bei diesem Verfahren aufgrund der unterschiedlichen Skalierung dabei nicht sinnvoll ist.

Vergleichen wir dann nochmals die Links-Rechts-Verortung mittels Expertenbefragungen mit den gebündelten Forderungen der Wahlprogramme getrennt in (1) sozio-ökonomischer und (2) sozio-kultureller Hinsicht, setzt sich diese Übereinstimmung weitestgehend fort: Die nominale Verortung sowie die Rangfolge der Parteien stimmen bei beiden Verfahren – mit Ausnahme der nominalen Verortung der Grünen in sozio-ökonomischer Hinsicht – überein.

Die überwiegende Übereinstimmung zwischen Wähler- und Expertenbefragung insbesondere aber die vollkommene zwischen Expertenbefragung und gebündelten Wahlprogrammen spricht dabei sehr für die (Übereinstimmungs-)Validität von Wählern-, insbesondere aber Expertenbefragungen und unseren gebündelten Forderungen der Wahlprogramme als Messverfahren.

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Visualisierung 8: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Expertenbefragung und gemäß Auswertungen der Wahlprogramme
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Visualisierung 9: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft in sozio-ökonomischer Hinsicht gemäß Expertenbefragung und Auswertungen der Wahlprogramme
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Visualisierung 10: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft in sozio-kultureller Hinsicht gemäß Expertenbefragung und Auswertungen der Wahlprogramme

2.3.3 Vorhersagevalidität

Vorhersagevalidität liegt wiederum vor, wenn es uns gelingt, mit den Messergebnis unseres Verfahrens das Messergebnis eines anderen Phänomens vorherzusagen, das durch das Phänomen, das unser Verfahren messen soll (Behnke, Baur, Behnke 2010: 130).

Eine Voraussetzung für eine Überprüfung auf Vorhersagevalidität ist daher, dass wir über einen gesicherten Zusammenhang zwischen dem Phänomen, das wir messen wollen, und einem weiteren Phänomen wissen.

Gemäß dem im ersten Beitrag vorgestellten Konzept der Cleavages (=Konfliktlinien) können wir dabei davon ausgehen, dass ein Zusammenhang zwischen der Links-Rechts-Ausrichtung einer Partei und deren Positionierung in bestimmten sozialen Konflikten bzw. Parteinahme für bestimmte soziale Gruppen besteht. Demnach wäre zu erwarten, dass sozio-ökonomische linke Parteien sich etwa im Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Konflikt eher für die Arbeitnehmerseite und rechte Parteien eher für die Arbeitgeberseite einsetzen (siehe Beitrag Wer ist Rechts oder Links – Teil I: Bedeutung von Links und Recht: Abschnitt 4.1). Entsprechend wäre wiederum zu erwarten, dass diese Parteien sich in ihrem Wahlprogramm häufiger positiv/wohlwollend über Arbeitnehmern und sozio-ökonomisch rechte Parteien wiederum häufiger wohlwollen über Arbeitgeber äußern. Mit den Daten bzw. Codings des Manifesto Projects lässt sich diese Erwartung dabei – wenn auch nicht ganz trennscharf, aber immerhin überhaupt – überprüfen.

Visualisierung 11: Häufigkeit der positiven Nennung Auswertungen der Wahlprogramme

Das Manifesto Project vermerkt/codiert neben verschiedensten politischen Forderungen auch positive Nennungen bestimmter sozialer Gruppen, unter anderen auch von (1) Arbeitern (workers) sowie (2) höher qualifizierten Angestellten (professionals) und (3) Selbstständigen bzw. Unternehmern (entrepreneurs), wobei die Erwähnung von höher qualifizierten Angestellten und Selbstständigen zusammengefasst als eine Kategorie/ein Coding – hierdurch entsteht besagte Trennschärfe – erfasst werden (Lehmann et al. 2023b: 20-21).

Schaut man sich den Anteil positiver Nennungen von Arbeitern in den Wahlprogrammen an, dann ergibt sich dabei folgendes Bild: Tatsächlich ist der Anteil positiver Nennungen von Arbeitern im Wahlprogramm umso höher, je linker die Partei in sozio-ökonomischer Hinsicht von unseren drei Verfahren im Mittel verortet wurde (siehe Visualisierung 11).

Diese Übereinstimmung zwischen Vorhersage und Beobachtung spricht dabei für die (Vorhersage-)Validität von sowohl Wählern- als auch Expertenbefragungen sowie unserer gebündelten Forderungen der Wahlprogramme als Messverfahren.

Zwischenfazit

Die hier vorgestellten Messverfahren haben alle gewisser Hinsicht sowohl Vor- als auch Nachteile. Tabelle 1 gibt dabei einen Überblick welches Messverfahren hinsichtlich welcher Gütekriterien vergleichsweise schlecht (-), gut (+) oder sehr gut (++) abschneidet.

Wählerbefragung Expertenbefragung Wahlprogramme
Objektivität Erhebungsobjektivität - + ++
Auswertungsobjektivität ++ ++ -
Reliabilität - + ++
Validität Prima Facie Validität - + ++
Übereinstimmungsvalidität + ++ ++
Vorhersagevalidität + + +
Tabelle 1: Die Messverfahren und ihre Bewertung nach Gütekriterium im Vergleich

Wähler-

befragung

Experten-

befragung

Wahl-

befragung

Objek-

tivität

Erhebungs-

objektivität

- + ++

Auswertungs-

objektivität

++ ++ -
Reliabilität - + ++
Validität

Prima

Facie

Validität

- + ++

Überein-

stimmungs-

validität

+ ++ ++

Vorhersage-

validität

+ + +
Tabelle 1: Die Messverfahren und ihre Bewertung nach Gütekriterium im Vergleich

In Sachen Objektivität bestehen hinsichtlich Erhebungsobjektivität vor allem Einwände gegenüber Wähler- und Expertenbefragungen und von diesen beiden wiederum vor allem gegenüber Wählerbefragungen. Hinsichtlich der Auswertungsobjektivität lassen sich wiederum vor allem gegenüber den gebündelten Forderungen der Wahlprogramme Bedenken äußern.

In Sachen Reliabilität schneiden die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme sehr gut, die Expertenbefragung eher gut und die Wählerbefragung eher schlecht ab. Grund hierfür ist der Umstand, dass aufgrund der nuancierteren Messung der Links-Rechts-Verortung bei Expertenbefragungen und gebündelten Wahlprogrammen sich die Verfahren zur Überprüfung der Reliabilität nur vollständig für die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme immerhin noch teilweise für die Expertenbefragung jedoch überhaupt nicht für die Wählerbefragung anwenden lassen.

In Sachen Validität bestehen wiederum hinsichtlich Prima Facie Validität am ehesten Einwände gegenüber Wählerbefragungen und am wenigsten gegenüber gebündelten Forderungen der Wahlprogramme.

Hinsichtlich Übereinstimmungsvalidität schneiden wiederum die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme und Expertenbefragungen sehr gut und die Wählerbefragung gut ab. Dass hier wieder mal die Expertenbefragung und die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme besser abschneiden als die Wählerbefragung liegt auch hier wiederum daran, dass sich aufgrund ihrer nuancierteren Messung der Links-Rechts-Verortung mehr Vergleiche/Verfahren zur Überprüfung von Übereinstimmungsvalidität bei der Expertenbefragung und der Bündelung der Forderungen der Wahlprogramme durchführen lassen als bei der Wählerbefragung.

Hinsichtlich Vorhersagevalidität schneiden sowohl Wähler- als auch Expertenbefragung und die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme eher gut ab.

Insgesamt erweisen sich demnach die gebündelten Forderungen der Wahlprogramme als bestes, die Expertenbefragungen als zweitbestes und die Wählerbefragung als – je nach Sichtweise – drittbestes oder schlechtestes Messverfahrung für die Links-Rechts-Verortung.

Wie wir jedoch auch gesehen haben, erfordert eine Messung mittels der Wahlprogramme erst eine Einsteifung, welche Forderungen bzw. Aussagen als links und welche als rechts zu gelten haben. Dabei wird vermutlich nie – weder unter Laien noch unter Experten – ein vollständiger Konsens darüber bestehen, welche konkreten politischen Forderungen aktuell konkret als rechts und welche als links einzustufen sind.

Die Uneinigkeit hierüber ist mutmaßlich auch der Grund dafür, warum Expertenbefragungen in der Politikwissenschaft die überwiegend bevorzugte Methode für die Messung der Links-Rechts-Ausrichtung von Parteien sind. Zumindest entsteht bei mir – und vermutlich nicht nur bei mir – immer wieder dieser Eindruck, angesichts einer wachsenden Anzahl an Datensätzen an basierend auf Expertenbefragungen bei gleichzeitig stagnierender Anzahl an Datensätzen basierend auf Auswertungen von Parteiprogrammen (Norris 2020; Jolly et al. 2022; Lehmann et al. 2022; Staffan et al. 2022).

Wie wir dabei jedoch auch gesehen haben, führt dies zu dem Problem, dass somit die Ergebnisse der bevorzugten Methode in der Politikwissenschaft zu Verortung von Parteien von der Unvoreingenommenheit der befragten Experten (siehe Abschnitt 2.3.1). Diese Unvoreingenommenheit wurde und wird dabei jedoch von Skeptikern in Frage gestellt (siehe Einleitung).

Auffällig ist, dass die Unvoreingenommenheit von Experten, vor allem von den Vertretern und Unterstützern einer Partei in Frage gestellt wird: Der AfD.

Skepsis gegenüber den Einschätzungen von Wissenschaftlern an und für sich kann und sollte dabei nicht pauschal mit Wissenschaftsfeindlichkeit gleichgesetzt werden bzw. als unwissenschaftlich abgetan werden. Wissenschaftlich wird eine Einschätzung immer schließlich erst dann, wenn diese nachvollziehbar begründ- und belegbar ist. Zwar kann man in den meisten Fällen annehmen bzw. dass Einschätzungen von Experten tendenziell nachvollziehbar begründet und belegt sein werden – zumindest nachvollziehbarer als von Nicht-Experten – aber der Status der Experten allein lässt dies eben nur annehmen, beweist es an und für sich aber noch nicht.

Im Folgenden wollen wir uns daher näher mit den Einwänden der AfD gegenüber ihrer überwiegenden Verortung von sowohl Wählern als auch Experten befassen.

3. Fallstudie: Die AfD vs. den Rest- Wer hat recht?

Allgemein äußern Vertreter und Unterstützer der AfD öfters den Vorwurf, die Gesellschaft sei in den letzten Jahren in ihrer Wahrnehmung und Einstellung „linker“ geworden, bzw. in den letzten Jahren sei eine „Hegemonie“[1] einer linken Minderheit entstanden, die die gesellschaftliche Wahrnehmung und Einstellung beeinflussen und manipulieren würde. Zu dieser einflussreichen wie manipulativen linken Minderheit werden von der AfD oft auch Wissenschaftler und darunter wiederum vor allem Sozialwissenschaftler gezählt (siehe Junge Freiheit 2019; ebd. 2021).

Einige Untersuchungen bestätigen dabei zumindest den Verdacht, dass in den meisten Gesellschaften Wissenschaftler in der Tat tendenziell eher links eingestellt sind (van de Werfhorst 2020: S. 58). Der Umstand, dass Wissenschaftler eher links sind, beweist an und für sich aber nicht, dass diese Rechten gegenüber auch voreingenommen sind bzw. sein müssen - geschweigen denn willens bzw. fähig die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung in diesem Sinne zu beeinflussen.

Wie in dem ersten Beitrag dieser Reihe erläutert, sagt der Umstand, dass jemand links oder rechts eingestellt ist, erstmal nur etwas darüber aus, welche politische Ansichten diese Person in Bezug auf Gleichheit bzw. Ungleichheit vertritt. Nur daraus, dass eine Person bestimmte Ansichten in einer Sache vertritt, kann man nicht darauf schließen, ob und inwiefern diese Person anderslautenden Ansichten nicht respektiert und dementsprechend voreingenommen sein wird.[2]

Umfrageergebnisse – etwa das geringere Vertrauen, das Wähler rechter Parteien gegenüber Wählern linker Parteien der Wissenschaft entgegenbringen (siehe Visualisierung 11) – legen dabei jedoch nahe, dass bei vielen Wählern rechter Parteien – und damit zwar vor allem eben nicht nur bei Wähler der AfD – zumindest ein Verdacht besteht, dass die tendenzielle linke Einstellung von Wissenschaftlern zu einer Voreingenommenheit zu ihren Ungunsten führt. Ob dieser Verdacht allerdings auch tatsächlich zutrifft, lässt sich auch dadurch allein nicht belegen.

Visualisierung 11: Vertrauen in Wissenschaft nach Stimmabgabe bei der Bundestagswahl 2021

Hierfür würde es sich etwa anbieten, zu schauen, ob und wie sich die Einschätzungen von Experten in Befragungen wie dem Chapell Hill Expert Survey abhängig von ihrer eigenen politischen Einstellung oder parteipolitischen Präferenz unterscheiden. Dies ist jedoch mit den Daten des Chapell Hill Expert Survey anderer Expertenbefragungen nicht möglich, da er solche Angaben nicht erhebt bzw. veröffentlicht. Dies zu tun, würde aufgrund der kleinen Anzahl an Befragten Experten die Anonymität der Experten gefährden und damit wohl auch deren Bereitschaft sich an einer solchen Umfrage überhaupt zu beteiligen. Alternativ können wir uns aber zumindest anschauen, ob und wie sich die Einschätzung von Wählern abhängig von ihrer parteipolitischen Präferenz unterscheiden, wie es etwa mit den Daten der German Longitudinal Election Studies möglich ist. Dabei ergibt sich folgendes Bild:

Visualisierung 12: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft gemäß Wählerbefragung nach Stimmabgabe bei der Bundestagswahl 2021

Eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen den Wählergruppen besteht bei der Verortung der linken Parteien. Die Linke wird etwa allen Wählern als äußerst links und SPD und Grünen werden von allen Wählern außer den AfD-Wählern als mäßig links eingeschätzt.

Bei der Verortung der rechten Parteien besteht wiederum eine etwas geringere, aber immer noch relative hohe Übereinstimmung. Tendenziell stufen die Wähler linker Parteien rechte Parteien als etwa rechter ein als es deren eigene Wähler tun würden. Möglicherweise liegt dies darin, dass ein nicht immer ganz trennscharfes unterscheiden zwischen rechts und rechtsextrem in linken (Wähler-)Milieus – wie man es bei beispielsweise bei vielen lokalen linken Bündnissen „gegen Rechts“, durchaus beobachten kann – dazu führt hat, dass die Wähler linker Parteien rechte Parteien tatsächlich als extremer und damit rechter wahrnehmen. Womöglich liegen die Ursachen hierfür aber auch wo anders.

Starke Abweichungen gibt es vor allem zwischen den Verortungen der Wähler der AfD und den Wählern aller anderen Parteien. Die Diskrepanz beginnt, endet aber noch lange nicht damit, dass Wähler der AfD diese als deutlich weniger rechts wahrnehmen als die Wähler aller anderen Partei. Gemäß AfD-Wählern ist die AfD nicht nur gar nicht so rechts, wie von den anderen Wählern eingeschätzt, sondern darüber hinaus auch die vermeintliche einzige rechte Partei in der deutschen Parteienlandschaft.

Diese Diskrepanz legt dabei nahe, dass entweder die Wähler der AfD oder aber die restlichen Wähler (oder aber beide) eine verzerrte Wahrnehmung der Links-Rechts-Verortung ihrer bzw. der anderen Parteien haben.

Für eine verzerrte oder zumindest widersprüchliche Wahrnehmung der AfD-Wähler spricht dabei auch der Umstand, dass die Wähler aller anderen Parteien sich selbst auf einer Links-Rechts-Skala auch dort verorten, wo sie auch „ihre“ Partei verorten würden.

Die AfD-Wähler verorten sich selbst überwiegend als äußerst rechts (siehe Visualisierung 13). Das erscheint widersprüchlich, geht man von der Annahme aus, dass zwischen der Links-Rechts-Position einer Partei und ihrer Wähler ein Zusammenhang besteht bzw. bestehen sollte – eine Annahme, die wir im nächsten Beitrag weiter ausführen, überprüfen und bestätigen können (siehe Beitrag Wer oder Was ist Links oder Rechts – Teil III: Ursachen von Links und Rechts).

Visualisierung 13: Links-Rechts-Selbstverortung von Wählern nach Stimmabgabe bei der Bundestagwahl 2021

Wenn man es also nicht für wahrscheinlicher hält, dass die miteinander übereinstimmenden und im obigen Sinne in sich nicht widersprüchlichen Einschätzungen von Experten wie von Wählern sämtlicher linker wie rechter Parteien außer der AfD eher verzerrt sein sollte, als die in sich widersprüchlich erscheinende Wahrnehmung der Wähler der AfD, wird man zu der Schlussfolgerung kommen, dass es zumindest wahrscheinlicher ist, dass wenn überhaupt die Wahrnehmung der Vertreter und Unterstützer AfD diejenige ist, die hier voreingenommen bzw. verzerrt ist.

Diese Schlussfolgerung wird auch dadurch bestätigt, dass – wie wir in diesem Beitrag gesehen haben – in dem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 keiner Partei der Anteil rechter Forderungen abzüglich des Anteils linker Forderungen insgesamt und vor allem in sozio-kultureller Hinsicht so hoch ist wie bei der AfD (siehe Visualisierung 4).

Dieser Umstand führt uns zu einem weiteren Vorwurf, der von Vertretern und Unterstützern der AfD im Zusammenhang mit ihrer Links-Rechts-Verortung und der der anderen Parteien oft geäußert wird.

Vergleicht man jedoch etwa die Wahlprogramme der Parteien für die Bundestagswahl 2021 mit denen für die Bundestagswahl 2002 zeigt sich, dass die AfD selbst nach den Maßstäben von damals eine äußerst rechte Partei ist bzw. schon damals gewesen wäre. Nicht eine der Parteien – auch die CDU nicht – vertrat 2002 auch nur ansatzweise derart viele rechte Positionen, wie die AfD aus dem Jahr 2021. Gleichzeitig ist aber auch zu erkennen, dass die CDU wie auch alle anderen Parteien 2002 Jahre dennoch vergleichsweise rechtere Positionen vertraten als 2021.

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Visualisierung 14: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft von 1998 und 2017 gemäß Auswertungen der Wahlprogramme
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Visualisierung 15: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft von 1998 und 2017 in sozio-ökonomischer Hinsicht gemäß Auswertungen der Wahlprogramme
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Visualisierung 16: Links-Rechts-Verortung der deutschen Parteienlandschaft von 1998 und 2017 in sozio-kultureller Hinsicht gemäß Auswertungen der Wahlprogramme

Diese Beobachtung wirft die Frage auf, ob die AfD, wenn auch nicht mit ihren anderen Vorwürfen, so doch zumindest mit ihrer Behauptung recht hat, dass die Gesellschaft und mit ihr die Parteien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten linker geworden sei.

Schaut man sich die Entwicklung der Anteile linker und rechter Forderungen in den Wahlprogrammen für sämtlicher Bundestagswahlen (mit Ausnahme der jüngsten Bundestagswahlen aus diesem Jahr) seit der Wiedervereinigung an, lässt sich jedoch auch diese Behauptung so pauschal nicht bestätigen.

Zwar ist zu erkennen, dass die gerade die CDU nach in der zweiten Hälfte der 2000er zunehmend nach Links bzw. Richtung Mitte gerückt ist. Zuvor hatte sich die CDU im Laufe der 1990er aber auch stark nach Rechts bewegt, weshalb die CDU 2021 daher sogar immer noch etwas rechter steht als 1990. Zudem fällt die Positionierung der SPD über große Teile der 1990er und 2000er überraschend rechts aus. In diesem Zeitraum setzten in mehreren westlichen Ländern eigentlich linke sozialdemokratische Regierung eine auffallend rechte liberale Sozial- und Wirtschaftspolitik um, so etwa im Vereinigten Königreich unter Tony Blair als Premierminister oder aber in Deutschland während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder. Unabhängig davon, wie man diese Phase in der Geschichte der modernen Sozialdemokratie bewertet, scheint sie sich unter anderem auch merkbar auf die Programmatik der SPD für einen sehr langen Zeitraum ausgewirkt zu haben.

Insgesamt hat sich der durchschnittliche Anteil linker und rechter Forderungen dadurch in den letzten 30 Jahren nur wenig verändert. Im Laufe der 1990er bewegte er sich eher nach rechts, dann im Laufe der 2000er wieder nach links und zuletzt – nicht zuletzt auch durch das Hinzukommen der AfD – wieder nach rechts. Auch diese Entwicklung passt nicht wirklich zu der Erzählung der AfD einer linken Hegemonie, welche die letzten Jahren entstanden sei.

Visualisierung 17: Links-Rechts-Selbstverortung von Wählern nach Stimmabgabe bei der Bundestagwahl 2021

Insgesamt haben mir somit eine Reihe von Befunden, die eher gegen eine voreingenommene Wahrnehmung und Beurteilung der AfD durch die Mehrheit der Experten und Wähler spricht, sowie für eine voreingenommene bis verzerrte Selbstwahrnehmung bzw. Selbstdarstellung der AfD durch ihre Vertreter und Unterstützer.

Für diese verzerrte Wahrnehmung/Darstellung von AfD-Anhängern sind verschiedene Erklärungen denkbar. Was die Parteivertreter – die Abgeordneten und Vorsitzenden – der AfD angeht, wäre gemäß klassischer Rational-Choice-Ansätze etwa davon ausgehen, dass diese an und für sich gar kein Interesse daran haben, dass ihre Wähler ein exaktes Bild von der Ideologie ihrer Partei haben (Downs 2013: 97). Ein Interesse haben Parteivertreter gemäß Rational-Choice erstmal nur daran gewählt zu werden und dementsprechend möglichst viele Wähler davon zu überzeugen, sie zu wählen (ebd. 2013: 30).

Hierfür kann es gemäß Rational-Choice-Ansatz kurzfristig von Vorteil sein, wenn eine Partei ihre Ideologie zu verschleiern und es dem Wähler so erschwert, sich ein exaktes Bild davon zu machen, wofür oder wogegen die Partei eigentlich ist. Denn hat der Wähler ein solch exaktes Bild hiervon, hat er damit eventuell auch einschlägige Gründe diese Partei nicht zu wählen, sollten ihre Forderungen seinen Interessen in Teilen zuwiderlaufen. Umgekehrt haben kann der Wähler in diesem Fall aber natürlich auch nicht sicher sein kann, ob sie Dingen fordert bzw. umsetzen wird, die seinen Interessen entsprechen (ebd. 2013: 104).

Langfristig wäre daher gemäß Rational-Choice-Ansatz auch zu erwarten, dass es im Interesse von Parteivertretern sein sollte, ihre Ideologie nicht zu verschleiern, da die Wähler ihnen gegenüber andernfalls sonst indifferent werden (ebd.). Kurzfristig – etwa in den Anfängen einer Partei – und wenn besondere Umstände greifen, kann das jedoch auch nicht so sein.

Bei der AfD sind dabei mehrere besondere Umstände denkbar. Wie in diesem Beitrag bereits ausführlich herausgearbeitet, ist die AfD eine für die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland außergewöhnlich rechte Partei (siehe Visualisierung 1-4). Das erschwert es der AfD stärker als den anderen – vergleichsweise deutlich mittigeren Parteien – für einen Großteil, geschweige denn eine Mehrheit der Wähler interessant zu sein, da eine Mehrheit der Wähler in Deutschland nun mal nicht derart äußerst rechts eingestellt ist.

Ähnliches nur in links trifft zwar in gewisser Hinsicht auch auf DIE LINKE zu. Aber einerseits ist DIE LINKE nicht in dem Ausmaß links wie die AfD rechts und damit immer noch – vergleichsweise – mittiger (ebd.). Andererseits formuliert DIE LINKE in ihrer Programmatik auch gar nicht den (Macht-)Anspruch wie die AfD, eine Mehrheit der Wähler zu repräsentieren und dementsprechend davon zu überzeugen sie zu wählen (AfD 2022: 8).

Es ist daher möglich, dass die Parteispitze der AfD einschätzt, dass für ihre Umstände und Ansprüche die am erfolgversprechendste Strategie darin besteht, die eigene Ideologie zu verschleiern und sich als vermeintliche Vertreterin einer vermeintlich mittig Rechten zu inszenieren, obwohl sie sich selbst durchaus bewusst ist, dass die AfD eigentlich zur äußeren Rechten gehört.

Ein weiterer besonderer Umstand, der eine solche Strategie im Fall der AfD einerseits sogar noch erfolgsversprechender erscheinen lassen dürfte, andererseits aber auch erklären würde, wieso nicht nur die Vertreter, sondern auch Wähler der AfD darauf bestehen, dass diese nicht äußert, rechts sei, findet sich in der Forschung zu autoritären Einstellungen.

Untersuchungen auf Grundlage repräsentativer Stichprobe wie etwa die Leipziger Autoritarismusstudie können schon seit längerem nachweisen, dass Wähler der AfD im Vergleich zu den Wählern anderer Parteien auffällig stark autoritärer eingestellt sind (Decker et al. 2022: 58).

Die Eigenschaften, Ursachen und Folgen autoritärer Einstellungen sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Autoritarismus und verwandten Phänomenen wie Populismus und Extremismus zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Was jedoch aus der Forschung dazu bekannt und in diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, ist der Umstand, dass überdurchschnittlich autoritär eingestellte Personen sich oft nicht bewusst sind, dass sie in dieser Hinsicht vom Durchschnitt abweichen (Altemeyer 1996: 136-137).

Die Eigenschaften, Ursachen und Folgen autoritärer Einstellungen sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Autoritarismus und verwandten Phänomenen wie Populismus und Extremismus zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Was jedoch aus der Forschung dazu bekannt und in diesem Zusammenhang erwähnenswert ist, ist der Umstand, dass überdurchschnittlich autoritär eingestellte Personen sich oft nicht bewusst sind, dass sie in dieser Hinsicht vom Durchschnitt abweichen (Altemeyer 1996: 136-137).

Erklären ließe sich das eventuell dadurch, dass Menschen mit stark autoritären Einstellungen meist auch ein starkes Bedürfnis haben, so zu sein wie der Durchschnitt (Altemeyer 2006: 240). Gleichzeitig gehen autoritäre Einstellungen aber auch mit einer dogmatischen Wahrnehmung der eigenen Umwelt und Mitmenschen einher, was in der Summe dazu führt, dass autoritär eingestellte Menschen dazu neigen, zu überschätzen, wie groß der Anteil ihrer Mitmenschen, der ihre Ansichten teilt, tatsächlich ist (ebd. 116).

Überträgt man diesen Befund auf die überdurchschnittlich autoritär wie äußerst rechts eingestellten Wähler der AfD, so wird auch klar, wie es (möglicherweise) zustande kommt, dass diese, die AfD nicht als äußerst rechts wahrnehmen (wollen), obwohl eigentlich alles dafür spricht, dass sie das nun mal ist. Denn auch, wenn das an und für sich überhaupt nicht der Fall sein muss, wird die politische „Mitte“ nach wie vor immer noch mit dem gesellschaftlichen Durschnitt in Verbindung gebracht, als Teil von dem die AfD-Wähler demnach sowohl gerne sich selbst als auch die Partei, die sie wählen, sehen wollen.[3]

Dieser besondere Umstand – die autoritäre Einstellung der eigenen Wählerschaft und damit einhergehende dogmatische Wahrnehmung – wäre wiederum ein weiterer Grund, warum es der Parteiführung der AfD in ihrem Fall umso erfolgsversprechender erscheinen könnte, ihre Ideologie zu verschleiern.

Unter normalen Bedingungen wäre für eine Partei zu befürchten, dass wenn sie sich als linker/rechter inszenieren/ausgeben würde, als sie es eigentlich ist, sie dadurch Wähler gewinnen, aber auch verlieren könnte. Für manche Wähler, die keine Partei wählen wollen, die offen als sehr links/rechts auftritt, würde die Partei durch eine Verschleierung attraktiver werden. Für andere Wähler hingegen, die gerade eine Partei wählen wollen, die offen für sehr linke/rechte Positionen eintritt, würde die Partei durch eine solche Verschleierung unattraktiv werden.

Der Umstand, dass die Wählerschaft der AfD jedoch sowohl äußerst rechts eingestellt ist - und deshalb mit der AfD auch eine äußert rechte Partei präferiert - anderseits allerdings aus den genannten Gründen gar nicht wahrhaben möchte, dass die Partei diese präferieren äußerst rechts und nicht mittig ist, dürfte in diesem Fall dazu führen, dass die Parteiführung der AfD, damit rechnen kann, dass sie die Vorteile einer Verschleierung ihrer Ideologie genießen können, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.[4]

Die hier vorgestellten Erklärungsansätze für die frag- bis widersprüchliche Verortung der AfD durch ihre Vertreter und Anhänger werfen zugegebenermaßen selbst ein paar Fragen auf (siehe beispielsweise Anmerkung 3). Unabhängig jedoch davon, welcher Mechanismus zu dem Umstand führt, dass die Selbstverortung der AfD-Wähler und die Verortung der AfD durch ihre Wähler, die Verortung der AfD durch Nicht-AfD-Wähler sowie die Programmatik der AfD in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinanderstehen, bleibt dieses Verhältnis bzw. seine Widersprüchlichkeit eine belegbare Tatsache. Völlig ohne eine ideologisch verzerrte Wahrnehmung oder aber strategisch überlegte Verschleierung der Ideologie der AfD seitens ihrer Anhänger und Vertreter wird sich dieser Widerspruch kaum erklären lassen.

Fazit

Die Messung von Links und Rechts ist ein schwieriges, aber mögliches Unterfangen. Die hier vorgestellten Verfahren für die Messung von Links und Rechts sind dabei alle nicht optimal. Dies liegt jedoch auch ein Stück weit in der Natur des Phänomens bzw. der Natur latenter Phänomene. Will man deren Messung nicht gleich ganz aufgegeben, muss sich daher wohl oder übel damit abfinden, dass kein Verfahren hierfür optimal, sondern dementsprechend immer ein Stück weit suboptimal sein und bleiben wird.

Die Ergebnisse dieser Verfahren sind dabei dennoch nicht willkürlich und bestätigen sich gegenseitig. Die Kritik – wie etwa der von Unterstützern und Vertretern der AfD oft geäußerte Vorwurf, die Links-Rechts-Verortung von Experten wie Nicht-Experten sei voreingenommen – nicht bestätigen und erscheint selbst voreingenommen.


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe „Wer oder Was ist Links oder Rechts?“ Weitere Beträge der Reihe:


Anmerkungen

  1. Das Konzept und die dazugehörige Theorie der Hegemonie ging ursprünglich auf den italienischen Kommunisten Antoni Gramsci zurück. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese und weitere Ideen eigentlich linker Theoretiker von der sich aus rechtsradikalen bis -extremen Lese- und Intellektuellenzirkeln herausbildenden sogenannten „Neuen Rechten“ intensiv rezipiert und in ihr eigenes Weltbild integriert (Meiering 2022: 13-20). Dass die AfD in ihrer heutigen Programmatik de facto an solche Denktraditionen anknüpft, zeigt einerseits, dass sie zumindest in Teilen auch ein Kind der Neuen Rechten ist, andererseits, aber auch dass ihr Weltbild in Teilen in einem solchen Ausmaß dogmatische Denk- und Erzählmuster enthält, dass es sich sogar als de facto kompatibler mit den Ideen der extremen Linken als denen der demokratischen Rechten erweist. Wer noch immer nach einem Beleg dafür sucht, dass die AfD mittlerweile eine zumindest in Teilen extremistische Partei ist: Das hier ist nur einer von – mittlerweile – sehr vielen. [Zurück]
  2. Der Umstand, dass die Tatsache, dass jemand eine bestimmte Ansicht vertritt, nicht bedeuten muss, dass diese Person diese Ansicht auch dogmatisch vertritt, sollte eigentlich selbsterklärend sein, außer natürlich man ist selber ein Dogmatiker, der es nicht anders kennt und – wie es von einem Dogmatiker auch zu erwarten wäre – auch bei anderen nicht anders vorstellen kann. Wer nach Belegen dafür sucht, dass die AfD eine – auch hier wieder zumindest in Teilen – dogmatische Partei ist: Das hier ist zumindest ein Indiz dafür. [Zurück]
  3. Gegen diese Erklärung spricht, dass demnach eigentlich auch zu erwarten wäre, dass AfD-Wähler nicht nur die AfD, sondern auch sich selbst in der Mitte bzw. mittiger verorten müssten, als sie es eigentlich sind. Dieser Einwand lässt sich eventuell dadurch entkräften, dass die Links-Rechts-Verortung der Partei, die man wählt, für die Einschätzung, wo man politisch im Vergleich zum Rest der Gesellschaft steht, womöglich relevanter ist als ihre persönliche Links-Rechts-Selbstverortung. In diesem Fall würde sich die dogmatische Wahrnehmung autoritär Eingestellter mutmaßlich vor allem bei der Links-Rechts-Verortung der von ihnen präferierten Partei entfalten und weniger bei ihrer persönlichen Links-Rechts-Verortung. Ob das jedoch wirklich so ist, ist bislang noch unklar bzw. – meines Wissens – unerforscht. [Zurück]
  4. Gegen diese Darstellung könnte man einwenden, dass der Zusammenhang zwischen dogmatischer Wahrnehmung, autoritären Einstellungen und Parteipräferenz für die AfD eigentlich auch den Schluss nahelegen müsste, dass die Vertreter der AfD genauso von einer dogmatisch Wahrnehmung betroffen sind, wie die Wähler. Demnach würde es sich bei den Weigerungen der Parteispitze, die AfD als eine äußert rechte Partei anzuerkennen, nicht um das Anwenden einer bewussten Verschleierungsstrategie handeln, sondern - wie bei den Wähler auch - um die Folge einer unbewussten Wahrnehmungsverzerrung handeln. Hiergegen spricht jedoch, dass gemäß des Forschung zu autoritären Einstellungen einiges dafür spricht, dass die Anführen autoritärer Parteien und Bewegung nicht unbedingt dasselbe glauben wie ihre Anhänger (Altemeyer 1996: 109; ebd. 2004: 426-427). [Zurück]

Literatur

Altemeyer, Bob 1996: The Authoritarian Spectre, Cambridge: Harvard University Press.

Altemeyer, Bob 2004: “Highly Dominating, Highly Authoritarian Personalities”; in: The Journal of Social Psychology 144 (4), S 421-447.

Alternative für Deutschland 2022: Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, online unter: https://www.afd.de/grundsatzprogramm/.

Behnke, Joachim; Baur, Nina; Behnke, Nathalie 2010: Empirische Methoden der Politikwissenschaft, Paderborn: Brill Schönigh.

Budge, Ian; Laver, Laver, Michael J. 1992: “Coalition Theory, Government Policy and Party Politics”; in: Budge, Ian; Laver, Laver, Michael J. (Hrsg.): Party Policy and Government Coalitions, Basingstoke: Palgrave Mc Millan.

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